Theorie
Wie definieren wir den Begriff Diversität oder Vielfalt? Was verstehen wir unter Kultur und Transkulturalität? Versuch einer Annäherung.
Der Begriff Vielfalt oder Diversität wird zunehmend zum zentralen Begriff für die Beschreibung westlicher Gesellschaften. Arbeitsmigration und Flüchtlingsströme lösen die kulturelle, ethnische oder sprachliche nationale Einheitlichkeit zunehmend auf. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung des Antidiskriminierungsdiskurses zu: Frauen, Alte, Homosexuelle, Behinderte, religiöse und ethnische Minderheiten sollen gleiche Chancen erhalten. Damit wird es schwieriger, Regeln und Verhaltensstandards mit dem Verweis auf kulturell begründete Normalitätsvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft durchzusetzen. Der Individualisierungsprozess, der seit den 1960er Jahre läuft, löst die traditionellen Milieus und sozialen Schichten immer mehr auf zugunsten von persönlichen Lebensstilen, Vorlieben und Interessen: So treten anstelle alter Gruppierungen und Massenorganisationen treten neue Gruppen, die sich an der individuellen Interessen und Lebenserfahrung der Betroffenen, respektive Beteiligten, ausrichten.
Die Vielfalt einer Gesellschaft definiert sich also sowohl über die sozialen Daten der Bevölkerung (Herkunft, Kultur, Sprache, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter und Behinderung) als über Zuordnungen, die auf individuellen Merkmalen beruhen. Lebenswelten (Familiensituation, Einkommen, Bildung …), persönliche Ausprägungen (soziokulturelle Aspekte, Lebensstile, Vorlieben, Interessen …) und spezifische Erfahrungen (Gesundheit, (Migrations)Biographie, Berufssituation…) verschränken sich mit den Zuschreibungen zu Herkunft, Sprache, Kultur und Religion und lösen Ethnisierungen und Kulturalisierungen auf, zugunsten von gemeinsamen Lebenswelten, von geteilten Interessen, Erfahrungen, Erwartungen, Bedürfnissen, Zielsetzungen, Vorlieben, besondere Fähigkeiten und Problemen. Das hier angewandte Verständnis von Vielfalt fokussiert nicht primär auf Unterschiede, sondern sucht nach Gemeinsamkeiten zwischen Gruppen und Personen.
Der Begriff Kultur hat zwei Dimensionen. Die eine ist inhaltlich und umfasst Werte, Weltbilder, religiöse Vorstellungen, Alltagsroutinen, Umgangsformen usw. Die andere bezieht sich auf die ethnische, nationale oder geographische Ausdehnung der kulturellen Inhalte und Praktiken.
Die Art, wie wir den nationalen und ethnischen Geltungsbereich von kulturellen Inhalten definieren, bestimmt grundsätzlich die Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Die verbreitete traditionelle Annahme, Kulturen seien in sich geschlossene Einheiten, führt zu einem multikulturellen Nebeneinander von ethnischen Gemeinschaften, die im besten Fall kooperieren, sich im schlimmsten aber Fall bekämpfen. Um die friedliche Koexistenz zu sichern, setzen die staatlichen Politiken vielfach interkulturelle Dialogprozesse in Gang. Da sie in der Zweiteilung von Fremd- und Eigenkultur hängen bleibt, wird die interkulturelle Mediation zur Sisyphusarbeit moderner Gesellschaften.
Zeitgenössische Kulturen sind aber nicht mehr in sich geschlossene Einheiten. Durch die Migrationsströme, die mediale Vernetzung sowie den Waren und Kaptialaustausch sind sie heute – wie der deutsche Kulturphilosoph Wolfgang Welsch sagt – „extern denkbar stark miteinander verbunden und verflochten. Die Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Einzelkulturen von einst (der vorgeblichen Nationalkulturen), sondern überschreiten diese, finden sich ebenso in anderen Kulturen. Die Lebensform eines Ökonomen, eines Wissenschaftlers oder eines Journalisten ist nicht mehr einfach deutsch oder französisch sondern – wenn schon – europäisch oder global geprägt.“ Und: „Die kulturellen Determinanten gehen heute quer durch die Kulturen hindurch, so dass diese nicht mehr durch klare Abgrenzung, sondern durch Verflechtungen und Gemeinsamkeiten gekennzeichnet sind.“ Diese netzwerkartige Struktur der Welt nennt Welsch Transkulturalität.